Artikel aus Jungle World vom 23.10.08 von Ron Steinke
Es geht auch unbürokratisch: Mitarbeiter der Dortmunder und der Hamburger
Ausländerbehörden haben auf einer Dienstreise nach Guinea die erforderlichen Papiere für die
Abschiebung von Flüchtlingen besorgt. Unter den Betroffenen ist mindestens einer, der
bestreitet, aus dem westafrikanischen Land zu stammen.
Wohin nur? Sollten Sie je versucht haben, einen Menschen aus Deutschland abzuschieben, dann
kennen Sie sicherlich diese Frage. Ohne gesicherte Erkenntnisse über das Herkunftsland eines
Flüchtlings kann man sich seiner legal nicht entledigen. Einen Sans papiers nimmt kein anderes
Land freiwillig auf. Doch keine Sorge: Wenn es um Abschiebungen geht, zeigen deutsche
Behörden seit jeher ungeahnte Kreativität.
Dies stellten zuletzt Vertreter der Ausländerbehörden Dortmunds und Hamburgs unter Beweis.
Wie sich kürzlich herausstellte, flogen die Beamten im Juli bis nach Guinea, um die ins Stocken
geratene Kooperation mit diesem »Zielland« zahlreicher Abschiebungen wieder zu verbessern.
Derart aufwändige Dienstreisen hätte man bis vor kurzem nicht für nötig gehalten, gab es doch
über Jahre eine enge und für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit der deutschen
Ausländerbehörden mit dem westafrikanischen Staat, einem der ärmsten und Transparency
International zufolge auch einem der korruptesten der Welt.
Um für afrikanische Flüchtlinge »Passersatzpapiere« zu beschaffen – offizielle Dokumente über
Identität und Staatsangehörigkeit –, hatten Ausländerbehörden aus zehn Bundesländern im
vergangenen Sommer eine so genannte Flüchtlingsanhörung in den Räumen der Braunschweiger
Behörde organisiert. Zwei Wochen lang wurden Afrikanerinnen und Afrikaner vor eine aus
Guinea eingeladene Delegation geführt. Zwar hatten die wenigsten der Betroffenen zuvor
angegeben, aus Guinea zu stammen. Dennoch stellte die Delegation für fast die Hälfte von ihnen
eine Bescheinigung über die guineische Staatsbürgerschaft aus, wofür die Ausländerbehörde
jeweils eine »Gebühr« entrichtete. Als dieses Vorgehen allerdings – nach Protesten unter anderem
von Amnesty International – in einer guineischen Tageszeitung publik gemacht wurde, erklärte
Guineas Außenminister, er habe von der in Braunschweig tätigen Delegation keinerlei Kenntnis,
niemand sei zu einer solchen Tätigkeit autorisiert worden. Die geplante Sammelabschiebung von
Deutschland nach Guinea platzte deshalb im letzten Moment. Echte und vermeintliche
Guineerinnen und Guineer mussten aus der Abschiebehaft entlassen werden (Jungle World
41/07).
Da auch die guineische Botschaft in Deutschland sich seither weigerte, entsprechende Papiere
auszustellen, die eine Abschiebung ermöglichen, flogen Mitarbeiter der Dortmunder und der
Hamburger Ausländerbehörde im Juli kurzerhand selbst nach Guinea. Ihre Reise unternahmen
sie in Absprache mit dem Bundesinnenministerium, wie der Leiter der Dortmunder
Ausländerbehörde, Frank Binder, betont, und im Auftrag auch der übrigen Bundesländer.
Binders Angaben zufolge gelang es den deutschen Beamten dort, die guineische Regierung
teilweise umzustimmen: Nach dem Besuch erklärte sich die Regierung in Conakry bereit, die
Papiere, die in den vergangenen Jahren in Deutschland ausgestellt wurden, nun doch
anzuerkennen. Abschiebungen sollen aber nur in kleinem Umfang wieder zugelassen werden.
Guinea gestattet mit den in der Bundesrepublik hergestellten Dokumenten zunächst nur jährlich
zwei Abschiebungen von maximal je fünf Personen.
Vor ihrem Abflug nach Guinea hatten die Mitarbeiter der Dortmunder Ausländerbehörde ihren
Kollegen in den übrigen Bundesländern allerdings noch einen weiteren Zweck ihrer Reise
mitgeteilt: In Guinea sollten neue Ausweispapiere für afrikanische Sans papiers in Deutschland
beschafft werden. Die begehrten Dokumente, welche die Dortmunder Ausländerbehörde in
Aussicht stellte, würden »unbegrenzt gültig sein« und könnten »für eine Abschiebung genutzt
werden«, heißt es dazu in einem internen Aktenvermerk der Ausländerbehörde im
niedersächsischen Winsen an der Luhe. Die Kosten betrügen 2500 Euro pro Flüchtling.
Der Preis erschien zumindest den Beamten in Winsen an der Luhe anscheinend als angemessen.
In der Akte von Laurent Camara*, einem papierlosen Flüchtling, der bestreitet, aus Guinea zu
stammen, findet sich ein Vermerk vom 16. Juli, man wolle seine persönlichen Daten noch eilig
an die Ausländerbehörde in Dortmund übermitteln, bevor die Reise der Dortmunder Kollegen
losgehe.
Unmittelbar nachdem die deutschen Beamten am 19. Juli nach Guinea geflogen waren, tauchte
in Deutschland ein offizielles guineisches Reisedokument für Camara auf – abzuholen bei der
Hamburger Ausländerbehörde. Camara wurde daraufhin umgehend in Abschiebehaft
genommen.
»Wenn solche – für afrikanische Verhältnisse – enormen Summen gezahlt werden, liegt es sehr
nahe, dass diese Papiere auf legalem Wege nicht zu erhalten waren«, sagt Conni Gunnßer vom
Flüchtlingsrat Hamburg im Hinblick auf die Kosten von 2500 Euro. Ebenso wie Camaras
Anwalt, Jan Sürig, vermutet sie, dass bei der Guinea-Reise im Juli nicht nur für Camara
Dokumente besorgt wurden. Der Leiter der Ausländerbehörde Dortmund, Frank Binder, wollte
sich dazu zunächst nur schriftlich äußern, bestätigte dann aber mündlich, dass es in Guinea die
»Möglichkeit gegeben« habe, entsprechende Papiere zu erhalten, zumindest für eine weitere
Person habe man auch eines »besorgt«. Die Dokumente seien von zwei Beamten der guineischen
Einreisebehörde ausgestellt worden, die zuvor auch an Flüchtlingsanhörungen in Deutschland
beteiligt waren. Gezahlt habe man ihnen allerdings nur 250 Euro. »Vielleicht hat da jemand eine
Null zu viel notiert.« Die Ausländerbehörde Hamburg verweigerte jeglichen Kommentar.
Auf unbürokratische Weise hat sich die Hamburger Ausländerbehörde schon einmal in jüngster
Zeit guineische Papiere beschafft. Im Februar wurde bekannt, dass die Behörde Anfang 2007 acht
Ausweispapiere aus Guinea an die Zentrale Abschiebungsstelle Sachsen-Anhalts vermittelt hatte.
Die »Einreisebeihilfe«, wie eine Sachbearbeiterin aus Sachsen-Anhalt den Preis für die guineischen
Dokumente intern bezeichnete, fiel damals allerdings noch etwas günstiger aus als zuletzt bei der
Guinea-Reise im Juli. Die Papiere kosteten das Bundesland Sachsen-Anhalt damals 2000 Euro
pro Flüchtling. Das Geld für acht guineische Reisedokumente, insgesamt 16000 Euro, wurde an
die Hamburger Landeskasse überwiesen.
Woher die Dokumente kamen? Auf eine parlamentarische Anfrage der GAL erklärte im Februar
die damalige Hamburger CDU-Regierung, das Geld sei einem »Vertreter« einer nicht näher
spezifizierten guineischen »Behörde« »in bar gegen Quittung übergeben« worden.
Wie gewissenhaft die vorherige Prüfung der guineischen Staatsangehörigkeit in Deutschland
verlief, belegt die Bestellung, welche eine Mitarbeiterin der Zentralen Abschiebungsstelle Sachsen-
Anhalts ihren Hamburger Kollegen damals mit auf den Weg gab. Die Beamtin stellte in einem
Schreiben an die Hamburger Ausländerbehörde eine Namensliste mit acht »Kandidaten« auf,
»welche ich sehr gerne nach Guinea schicken würde« – von denen allerdings kein einziger eine
offizielle Bescheinigung über eine guineische Herkunft hatte, wie aus derselben Liste hervorgeht.
Neben einem der Namen steht dort schlicht, zur Frage der Herkunft sei bislang »keine
Einschätzung möglich«. Bei den übrigen sieben wird auf die Einschätzung der eingangs
erwähnten dubiosen guineischen »Delegation« verwiesen, die im Jahr 2005 auch in Hamburg
eingesetzt wurde. Am Ende ihres Schreibens bittet die Sachbearbeiterin aus Sachsen-Anhalt ihre
Hamburger Kollegen um eine Kontonummer, an die sie das Geld für die guineischen Papiere
überweisen könne.
* Name von der Redaktion geändert
Flüchtlingsrat Hamburg, Nernstweg 32-34, 22765 Hamburg
Tel.: 040-431587 Fax: 040-4304490
info@fluechtlingsrat-hamburg.de
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